Projektträger ist die deutsch-italienische Kulturvereinigung Amici dell' Aquila

Montag, 9. Januar 2012

Siebter Bericht des Botschafters

L'Aquila 15. November 2011 
Il Centro, Quotidiano dell'Abruzzo, 14. November 2011, redaktioneller Bericht.

Baustellen blockiert – die Stadt kommt nicht in Gang.
31 Monate nach dem Beben ist die Freizone eine Illusion und es fehlt an Arbeit.

L'AQUILA. Streitsucht und mangelnde Zusammenarbeit zwischen den Parteien blockieren den Wiederaufbau. Dies ist die Ansicht des Senators Franco Marini (Demokratische Partei, Pd) über das schwierige Wiederaufblühen der Stadt. Dazu die Idee des Senators Piccone (Popolo della Libertà, PdL), ein Experte als Bürgermeister könne die Geister lösen und den Wiederaufbau beginnen lassen. Ein Vorschlag, der in L'Aquila viele 'nein' kassiert hat. Aber, wie ist der Stand der Dinge 31 Monate nach dem Erdbeben?

STEUERN. Sie waren bis letzte Woche die Hauptsorge von Bürgern und Politikern. Mit der Anordnung, unterzeichnet vom Unterstaatssekretär Gianni Letta und eingefügt in das Stabilitätsgesetz, sind die Modalitäten festgelegt worden, nach denen die Aquilani die aufgeschobenen Steuerzahlungen vom 6. April 2009 bis 30. Juni 2010 nachträglich leisten müssen. Die Summe von etwas mehr als einer Milliarde wird bei einem Nachlass von 60% ab Januar 2012 in 120 Monatsraten nachgezahlt werden. Ein Beschluss von allen Beteiligten, den Bürgermeister eingeschlossen, die beste Lösung, die man erreichen konnte angesichts des sehr schwierigen wirtschaftlichen Hintergrundes, in dem sich das ganze Land bewegt. Anders die Situation der Opfer von Erdbeben in Umbrien und den Marchen, wo erst nach Ablauf von zehn Jahren mit Nachzahlungen begonnen wurde.

HÄUSER DER KATEGORIE“E“. Für diese schwer geschädigten oder ganz zerstörten Häuser, soweit sie außerhalb der historischen Zentren stehen, hängen die großen Aufbauarbeiten ca. 1000 Tage nach dem Erdbeben sozusagen am Pfosten. Dies wird das Feld sein, auf dem die Kommunalverwaltung das nächste Gefecht auftischt. Assessore Di Stefano (zuständiger Beigeordneter für den Wiederaufbau) macht darauf aufmerksam, dass die Langwierigkeit des Wiederaufbaus an einer Reihe von Rechtsnormen und Anordnungen des (staatlichen) Kommissars für den Wiederaufbau (das ist Gianni Chiodi, der Präsident der Region Abruzzen, PdL) liegt, die sich gegenseitig widersprechen. Aber auch die ineffiziente 'Produktionskette' Fintecna – Reluis – Cineas, alle drei müssen jede Akte der Häuser der Kategorie 'E' bearbeiten, beeinträchtigt den Fortgang. Cineas und Reluis gehen außerdem Ende des Jahres von L'Aquila weg, ohne dass in der letzten Anordnung (Nr. 3978) die Möglichkeit geschaffen worden wäre, ein kommunales Büro zu eröffnen, wie von Massimo Cialente (Bürgermeister, sindaco di L'Aquila) und Di Stefano gefordert worden war. Bis heute, so die letzte Zusammenfassung der Entwicklung der Zuschussanträge, sind 8.205 Anträge eingereicht, 1.504 Zuschüsse wurden bewilligt, verbleiben also 6.665 Anträge, die noch zu bearbeiten sind: eine enorme Zahl, die verstehen lässt, weshalb die Stadt noch weit davon entfernt ist, Europas größte Baustelle zu sein.

WIRTSCHAFT UND ARBEIT. Vom Gang des Wiederaufbaus ist die Erholung der Wirtschaft abhängig. „Das produzierende Gewerbe ist nahe am Zusammenbruch“ sagt der Direktor des Confcommercio Celsio Cioni. „Von 900 Betrieben, die vor dem Erdbeben im Zentrum ansässig waren, haben sich 600 neu orientiert und zwar an der Peripherie“ sagt Cioni weiter. „Im historischen Zentrum haben 31 Geschäfte wieder aufgemacht.“ Besorgniserregend sind die Daten zur Beschäftigung. Die Gewerkschaft CGIL schlägt Alarm zur Lage der cassa integrazione (Ergänzugskasse). „Die Daten zur Inps (  ) vom September“, so der Provinzsekretär Umberto Trasatti „sagen uns, dass 6 Milionen Stunden überschritten wurden, die zu Lasten der cassa integrazione gingen. Dem entsprechen die 3.891 Berufstätigen in Cig (  ). Darüberhinaus sind 1.377 in mobiltà, während weitere 3.729 Personen Arbeitslosengeld beziehen. Will sagen, dass i der Provinz L'Aquila über 9.000 Personen soziale Leistungen erhalten. Von diesen haben 5.000 bereits die Arbeit verloren und die anderen stehen in der Gefahr, sie zu verlieren.“ Ein bisschen Sauerstoff für die produzierende Wirtschaft könnte aus der zona franca (Steuer – Freizone) kommen. Die Europäische Kommission prüft derzeit Papiere und Daten. Dort wird bewertet, ob L'Aquila die Voraussetzungen für Steuererleichterungen für neue Betriebe der produzierenden Wirtschaft erfüllt. Ende des Monats wird das consiglio comunale (Gemeinderat) in Brüssel eine Sitzung abhalten. Eine Dienstreise beschlossen zur Stützung des Antrages, der im Sande zu verlaufen scheint.

DIE ERMITTLUNGEN. Über 200 Ermittlungsverfahren sind bei der Staatsanwaltschft im Zusammenhang mit dem Erdbeben anhängig. Im größten Verfahren wird gegen die Commissione grandi rischi ('Kommission für die großen Gefahren') ermittelt; sie wird beschuldigt, die Bevölkerung trotz der Gefährlichkeit der Erdbeben folgen nur beruhigt zu haben und sie so veranlasst zu haben, in der Nacht des großen Erdbebens in den Häusern zu bleiben. (cr. aq)

Übersetzung und Erläuterungen: B. Pahlmann,




Aus der gleichen Ausgabe des Centro noch ein paar Zahlen (nach dem Vize-Kommissar für die Kulturgüter Luciano Marchetti)

Das kommunale Theater soll Ende 2012 wieder in Betrieb gehen, in neun Monaten die grundlegenden Arbeiten an der Gebäudestruktur abgeschlossen sein. Kosten hierfür: € 1,6 Mio.
Santa Maria di Collemaggio, L'Aquilas schönste Kirche, wo der Papst Coelestin V. Begraben liegt: Die Sicherungsarbeiten sind seit 2009 abgeschlossen, aber der Wiederaufbau ist noch ungewiss, da kein Geld vorhanden ist und € 10 Mio veranschlagt sind.
Porta Napoli soll in vier Monaten wiederhergestellt sein, im nächsten Frühjahr der Palazzetto die Nobili.
Das Castello, die spanische Festung, hat einen Sanierungsbedarf von € 20 Mio., 'gefunden' wurden erst € 500 Tsd.
Die Hauptachse durch die historische Innenstadt ist – nach 2 ½ Jahren – nutzbar.
Am Dom sind die Sicherungsarbeiten abgeschlossen, unsicher hingegen die Zeit der Restauration, da Geld fehlt. Benötigt würden € 12 Mio.

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